El Salvador: Migration in die USA ist oft die einzige Hoffnung (2024)

El Salvador: Migration in die USA ist oft die einzige Hoffnung (1)

Ein Drittel aller Salvadorianer ist in die USA ausgewandert. Was heisst das für die Menschen, die zurückbleiben?

Thomas Milz (Text), Camilo Freedman (Bilder), San Salvador

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Nur wenige Kilometer Luftlinie trennen das Dorf El Tunal von San Salvadors internationalem Flughafen. Dort kommen im Stundentakt Flüge aus den USA an mit Touristen, die an die nahen Surfstrände wollen. Doch in dem an einer kaum befahrenen Landstrasse gelegenen Dorf ist wenig zu spüren vom Tourismusflair der Pazifikküste. Abwasser fliesst die staubigen Wege hinunter. Arbeit gebe es nur in einer Fabrik, die Plastikmüll aus der Hauptstadt wasche, sagt Juan Pablo.

Der 60-Jährige und seine Frau Esther haben es zu bescheidenem Wohlstand gebracht, dank den Geldüberweisungen der Kinder aus den USA. Er baut gerade ein zweites Haus und hält einige Kühe. Sie verkauft Avon-Produkte für die Körperpflege, die in einer Vitrine in der Küche stehen. Die Wände sind behängt mit Fotos der vier Kinder und sieben Enkel, die im amerikanischen Gliedstaat Texas leben. Zwei der Enkel haben sie zuletzt als Babys in den Armen gehalten, die anderen kennen sie nur über Whatsapp.

Im Jahr 2014 floh der älteste Sohn vor der Gewalt der Jugendbanden, Maras genannt, in die USA. Die hätten damals in El Tunal mit Drogen gedealt und Leute verschwinden lassen, sagt Juan Pablo. Die älteste Tochter folgte ihrem Bruder, nachdem sie von einem der Kriminellen vergewaltigt worden war. Als dann auch der jüngere Sohn erklärte, mit den beiden Enkeln emigrieren zu wollen, weil er in El Salvador keine Perspektive sehe, sei das ein Schock gewesen. Denn man habe viele Geschichten von auf den Migrantenrouten verschleppten Kindern gehört.

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So zahlte die Familie 8000 Dollar pro Person an Schlepper, sogenannte Coyotes, für den Transport an die amerikanische Südgrenze, wo weitere 7000 Dollar fällig wurden. Mittlerweile lebt auch die jüngste Tochter in Texas. Die Söhne arbeiten dort auf dem Bau, die Töchter in einem Imbiss. Ohne Papiere, was es unmöglich macht, die Eltern in El Salvador zu besuchen.

Zwei Jahre Ausnahmezustand

Neben den 1,5 bis 2 Millionen «Legalen» mit salvadorianischem Hintergrund leben wohl bis zu einer Million Papierlose aus dem zentralamerikanischen Land in den USA. Das entspricht zusammen einem Drittel aller Salvadorianer. Die von ihnen überwiesenen Rimessen machen rund ein Viertel des salvadorianischen Bruttoinlandproduktes aus.

Die erste Migrationswelle wurde durch den Bürgerkrieg (1979–1992) ausgelöst. Über eine Million Salvadorianer flohen damals aus dem Land, die Hälfte in die USA. Danach floh man vor Armut und vor den kriminellen Banden. In den 2010er Jahren galt El Salvador als gefährlichstes Land der Welt. Doch im März 2022 verhängte Präsident Nayib Bukele den bis heute andauernden Ausnahmezustand. Über 75000 Jugendliche und Männer wurden seitdem ohne Prozess oder Anrecht auf einen Anwalt inhaftiert.

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Während Menschenrechtsorganisationen gegen die Aussetzung der Grundrechte protestieren, feiert Bukele El Salvador als «das sicherste Land ganz Amerikas». Die Migrationszahlen scheinen darauf zu reagieren. Wurden 2022 fast 100000 illegal einreisende Migranten aus El Salvador an der amerikanischen Grenze aufgegriffen, waren es 2023 nur noch 63000. Allerdings ist unklar, wie vielen dank den Schleppern die Einreise gelang.

Die verbesserte Sicherheitslage könnte zu einer Rückkehrwelle bei den Migranten führen, glaubt Bukele. Erste Medienberichte zeigen vor allem heimkehrende Rentner. Und so zielen Luxusapartments, die an der Pazifikküste in Projekten wie Surf-City entstehen, auf Salvadorianer mit Heimweh und vollen amerikanischen Konten.

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In El Tunal stehen einige schmucke Häuser mit davor parkierten Geländewagen. Sie gehören Familien mit Verwandten in den USA. Doch die ärmlichen Hütten überwiegen. Derzeit kämpfen die Anwohner dafür, dass das Dorf an die Kanalisation angeschlossen und die Wege asphaltiert werden. Zudem verlangt man die Ausstellung der Besitztitel für die Grundstücke. Man habe schliesslich gültige Kaufverträge, erklärt Juan Pablo.

Unterstützt werden die Einwohner von der kirchlichen Organisation Cofoa, die Migrationsursachen bekämpft. Ein erster Schritt sei, die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern, sagt der Cofoa-Regionalleiter Manuel Cerón. Dafür schult er Anwohner wie Juan Pablo. «Wir wollen sie dazu befähigen, auf Augenhöhe mit der Verwaltung zu verhandeln.»

Schöner Traum Kalifornien

Auch Bladimir Rivas engagiert sich für Cofoa. Wir treffen ihn am Stadtrand von Sonsonate, zwei Autostunden westlich von El Tunal. Die Probleme hier sind dieselben: fehlende Besitztitel für die Grundstücke, kein fliessendes Wasser und keine Kanalisation. Die Regierung investiere nicht in die Armenviertel, sagt der 59-Jährige.

Im Jahr 1990, als der Bürgerkrieg tobte, wanderte er aus. Als eines von acht Kindern einer armen Familie hatte er in El Salvador nichts zu erwarten, «ausser einer Kugel, die man damals schnell durch den Kopf geschossen bekam». Auf dem zweimonatigen Marsch in die USA wurde er überfallen und litt Hunger. Doch er gab nicht auf, denn «lieber stirbt man bei der Suche nach einem besseren Leben, als untätig daheim zu verhungern».

Er arbeitete in kalifornischen Supermärkten, um der Frau und den zwei Kindern Geld zu schicken. Nachholen wollte er sie nicht; Kalifornien sei in den neunziger Jahren ein verrückter Ort voll Drogen gewesen. Damals bildeten Migrantenkinder dort die ersten Maras. Als Präsident Bill Clinton die straffällig gewordenen Jugendlichen in ihre Heimatländer Guatemala, El Salvador und Honduras ausschaffte, verbreiteten sich die Banden dort rasant.

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Nach zehn Jahren kam Bladimir im Jahr 2000 zurück, weil er seine Kinder aufwachsen sehen wollte. Doch die Realität sei ernüchternd. Auf den nahen Zuckerrohrfeldern verdiene man sechs Dollar am Tag, in der Stadt zehn Dollar für einen Acht-Stunden-Tag. Das Geld reiche nie. Immerhin seien jetzt die Maras weg. Die Polizei habe aber auch einen unschuldigen Jugendlichen aus dem Viertel festgenommen und ein Jahr lang eingesperrt. Der Staat wisse nicht, was er mit der Jugend anstellen soll, glaubt Bladimir. Es sei den Regierenden wohl auch egal.

Wenn ihn nun Jugendliche in der Kirche nach seinen Erfahrungen in den USA fragen, sage er ihnen: «Du bist jung und kannst arbeiten. Gibt man dir hier keine Chance, musst du intelligent sein und auswandern.»

El Salvadors Wirtschaft lahmt

El Salvador habe das schwächste Wachstum ganz Zentralamerikas und die Perspektiven seien nicht gut, sagt der Wirtschaftsprofessor Wilber Baires. Es fehlten eine auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftspolitik und Initiativen für Arbeitsplätze, besonders für die Jugend. Baires unterrichtet an der privaten Wirtschaftsuniversität ESEN in der Hauptstadt San Salvador. Zu den Schwerpunkten der Universität gehören Software und digitales Marketing, beliebt in einem Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung unter dreissig ist.

Wer hier studiere, bleibe später auch in El Salvador, glaubt Baires. «Institutionen wie die ESEN reduzieren die Migration.» Doch obwohl Unternehmen Stipendien für Jugendliche aus armen Familien sponsern, richtet sich die ESEN an ein betuchtes Publikum. Es brauche mehr Institutionen, die Perspektiven für arme Jugendliche böten, findet Baires. Selbst in der Hauptstadt, die wirtschaftlich noch am dynamischsten ist, gebe es grosse soziale Kontraste, und auf dem Land stehe die wirtschaftliche Entwicklung still.

So lebt der «sueño americano» weiter, der Traum vom besseren Leben in den USA. Entlang der Landstrasse von San Salvador nordwärts Richtung Honduras bieten Büros Dienstleistungen für den USA-Trip. Für 70 Dollar werden Visa-Anträge ausgefüllt und Tipps für die Interviews mit den amerikanischen Behörden gegeben. Daneben stehen gigantische Hamburger-Reklametafeln amerikanischer Fast-Food-Ketten.

Wir sind in der Kleinstadt Guarjila angekommen. Hier leben Bauernfamilien, die im Bürgerkrieg über die nahe Grenze zu Honduras geflohen waren und in den neunziger Jahren hier wieder angesiedelt wurden. Rund 60 Prozent aller Familien beziehen Rimessen aus den USA, schätzt Walter Peñate von der Nichtregierungsorganisation Cordes. Das Geld bekommen sie an Geldautomaten in lokalen Supermärkten und Tankstellen.

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Es fliesst in Konsumartikel, wie iPhones und Fernseher, oder in den Hausbau. In ein eigenes Geschäft investiere kaum jemand, so Peñate. Denn als Selbständiger wurde man früher leicht Opfer von Erpressungen. Mit Unterstützung von Terres des hommes Schweiz will Cordes Alternativen zur Migration schaffen. So bietet man Kurse zur Selbständigkeit an und vergibt ein einmaliges Startkapital von 850 Dollar. Dadurch seien bereits IT-Büros und Autowerkstätten entstanden.

Und auch das Kleider- und Schuhgeschäft von Margarita. Die 28-Jährige nahm 2019 an dem Kurs teil und hatte Glück, dass während der Corona-Pandemie viel vor Ort eingekauft wurde. Das Geschäft läuft so gut, dass sie über einen zweiten Laden nachdenkt. Zudem baut die Familie ein Haus, auch wenn sie keine Verwandten in den USA hat, die Geld schicken. Sie will bleiben: «Hier passen wir aufeinander auf.»

Angst vor polizeilicher Willkür

Auch ihre Freundin Reina hat an der Schulung teilgenommen. Mit der Dekoration von Festen verdient sie seitdem zu ihrer Anstellung als Lehrerin hinzu. Doch die insgesamt 700 Dollar monatlich reichen nicht, obwohl sie mit der zweijährigen Tochter und dem zwölfjährigen Sohn bei ihrer Mutter lebt und ihre Oma Geld für die Kleidung der Kinder aus den USA schickt.

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Als ihre jüngere Schwester vor drei Jahren dorthin ging, bezahlte die Familie 16000 Dollar an die Schlepper. Heute sei es noch teurer. Trotzdem seien viele ihrer Freunde bereits in den USA, und mit deren Rimessen würden die Familien hier Grundstücke und Häuser kaufen. Dadurch seien die Preise ins für sie Unerschwingliche gestiegen.

Früher fürchtete Reina die Maras. Doch seit der Verhängung des Ausnahmezustands hat sie Angst vor der Polizei. Als sie letztens mit dem Zwölfjährigen in der nahen Grossstadt Chalatenango gewesen sei, habe ein Polizist ihnen etwas zugerufen. «Da habe ich meinen Sohn gepackt und bin schnell weg.» Jungen seines Alters seien verhaftet worden, weil sie auf Tiktok vorgaben, den Maras anzugehören. «Ein dummer Scherz, der dich für zwei Jahre ins Gefängnis bringt, ohne Recht auf einen Anwalt.»

Beim Bischof haben sich Einwohner von Guarjila über die willkürlichen Verhaftungen beschwert. Mittlerweile hätten Familien, die stets gegen die Migration ihrer Söhne gewesen seien, umgedacht, sagt Reina. Rasch brächten sie das Geld für die Schlepper zusammen, dann seien die Jungen weg. Sie selber liege oft nachts wach und überlege, mit den Kindern zu ihrer Schwester in die USA zu gehen. Im Dezember laufe ihr Arbeitsvertrag als Lehrerin aus. Dann wolle sie sich entscheiden.

Ob die Kinder jemals heimkommen?

Zurück in El Tunal nahe dem internationalen Flughafen. Zu gerne würden Juan Pablo und seine Frau Esther dort in ein Flugzeug Richtung Texas steigen, um die Kinder und Enkel zu besuchen. Doch Juan Pablos Name taucht in den US-Datenbanken auf, er ist als deportierter illegal Eingewanderter vermerkt. Ein Irrtum, doch man verweigert ihm deshalb das Touristenvisum. Und allein will Esther nicht reisen. Man werde sie in den USA einsperren, fürchtet sie. «Schauen Sie, sehe ich etwa wie eine Touristin aus?»

Das Leben in El Salvador sei sehr kompliziert, sagt Juan Pablo. Trotz Bukeles Versprechen, die Korruption zu bekämpfen, habe sich wenig verbessert. So komme sein Rentenantrag nicht voran, da der zuständige Beamte die Hälfte des Betrags als Schmiergeld verlange. Auch das Problem mit den Maras sei nicht gelöst, einige versteckten sich in den Dörfern und bedrohten die Anwohner. Juan Pablo ahnt, dass die Kinder nicht zurückkommen werden. So bleiben ihm und Esther nur die Telefongespräche mit Texas und die Fotos an der Küchenwand.

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