Tyler, The Creator – „Flower Boy“: Wie hom*o ist hom*ophobie? - WELT (2024)

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„Yonkers“, das wohl bekannteste Lied von Tyler, The Creator aus dem Jahr 2011 beginnt mit der Zeile: „I’m a f*cking walking paradox, no I’m not.“ Der Rapper als wandelnder Widerspruch, der sich selbst verneint. Bei Live-Auftritten, wie letztes Jahr beim viertägigen „Bonnaroo Festival“ im US-Bundesstaat Tennessee, verändert er diese Zeile gern zu: „I’m a f*cking hom*osexual, no I’m not.“ Nun kann man also überrascht sein, wenn die größte Nachricht über Tylers neues Album „Flower Boy“ (vorangekündigt unter dem üblich provokanten Titel „Scum f*ck Flower Boy“) ist, dass er sich darauf vermeintlich als schwul outet. Oder auch eben nicht.

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„Flower Boy“, das je nach Zählweise das vierte oder fünfte Album des selbst ernannten Sohn Satans ist (wobei die Frage, ob das Debüt „Bastard“ nun ein Mixtape war oder ein reguläres Album, für Künstler aus Tylers Generation weitgehend sinnfrei scheint), tauchte bereits zwei Wochen vor dem eigentlichen Erscheinungstermin im Internet auf.

Danach dauerte es nicht lange, bis die ersten Hörer auf den vermeintlichen Coming-out-Reim im Lied „I Ain’t Got Time“ stießen: „Next line will have ’em like „Woah“/ I’ve been kissing white boys since 2004.“ Überraschung: Tyler knutscht mit weißen Jungs seit er etwa 13 Jahre alt ist. Zu diesem Bekenntnis hüpft ein fröhliches Orgel-und-Sitar-Sample aus Bel-Sha-Zaars 1969 erschienenen Album „The Art of Belly Dancing“ durch das Lied.

Jahrelang im Schuppen versteckt

Wer es gern etwas subtiler mag, der hört auf dem getragene „Garden Shed“ gemeinsam mit der britischen Sängerin Estelle und einer gezupften E-Gitarre diesen Text: „Garden shed for the garçons/ Them feelings that I was guardin’/ Heavy on my mind/ All my friends lost/ They couldn’t read the signs.“ Tyler hat sich also nicht im Schrank versteckt, wie das englische Sprichwort „being in the closet“ unausgesprochene hom*osexualität umschreibt, sondern im Schuppen.

Von seinen Freunden habe das nie jemand mitbekommen. Und das, obwohl die Zeichen doch da waren. Einer dieser Freunde bemühte sich auf Twitter deshalb auch gleich um Klarstellung. Und so schrieb Mike G: „Mein Kumpel ist nicht schwul, er steht nur auf Typen.“ Na, dann ist ja alles klar.

Nun kann man sich, wie Tyler 2014 selbst in einem Interview mit dem amerikanischen Late-Night-Talker Larry King, fragen: „Why does this sh*t matter?“. Warum sollten wir uns im 21. Jahrhundert dafür interessieren, mit wem ein Künstler oder überhaupt irgendjemand Sex hat?

Mike G klärt auf

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In Tylers Fall gibt es dafür zwei Gründe: Erstens, er hat es selbst zum Thema gemacht. Ziel seiner Kunst war schon immer die Provokation. Wenn er bisher sehr bewusst und auch sehr gekonnt über Beziehungen zu Minderjährigen, Selbstmord- oder Stalkerfantasien gerappt hat, dann handelt sein neues Album eben von seiner eigenen Sexualität. Das reicht zumindest im Hip-Hop noch immer für einen mittelschweren Aufschrei.

Nie wieder Großbritannien

Das Genre tut sich weiterhin schwer mit hom*osexualität, besonders männlicher. Und das, obwohl sich in den letzten Jahren etablierte Künstler wie Frank Ocean, ILoveMakonnen oder Mykki Blanco geoutet haben. Trotzdem witzeln die alten Hip-Hop-Herren wie Snoop Dogg weiter über vermeintlich zu feminine Nachwuchsrapper. So machte sich Snoop zuletzt im Video zu „Moment I Feared“, einem Lied von seinem gerade erschienenen Album „Neva Left“, über Atlantas Young Thug lustig, weil dieser sich für Mode interessiert und als Mann auch mal ein Kleid trägt.

Und Tyler? Da sind wir schon beim zweite Grund, warum das Thema hom*osexualität in seinem Falle überhaupt bemerkenswert ist: Tyler hat allein auf seinem ersten (zweiten?) Album „Goblin“ von 2011 das Wort „fa*ggot“, was so viel heiß wie „Schwuchtel“, mehr als 200 Mal verwendet. In Großbritannien hat er deswegen seit 2015 ein Einreiseverbot. Seine Texte seien gewaltverherrlichend und schwulenfeindlich, hieß es damals in der Begründung des britischen Auswärtigen Amtes. Auch Australien und Neuseeland verboten dem Rapper und seiner Odd-Future-Crew bereits Auftritte.

Härtester Song vom neuen Album

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Tyler, der wandelnde Widerspruch, befindet sich damit in einem doppelten Paradox. Einerseits hatte er seine Verwendung von Begriffen wie „fa*ggot“ immer damit gerechtfertig, dass sie für ihn nichts bedeuten – wissentlich, dass solche Wörter nur deshalb eine Reaktion in der Gesellschaft und den Medien hervorrufen, weil sie sehr wohl für viele mit schmerzhaften Erfahrungen verbunden sind.

Und da Tyler sich andererseits bisher nicht definitiv zu seiner Sexualität bekannt hatte (fraglich ist weiterhin, ob sein „Flower Boy“-Alter Ego nicht einfach ein weiteres Stück Rollenprosa ist), musste auch der Versuch fehlschlagen, sich diese Schimpfwörter als Betroffener wieder anzueignen und sie als Zeichen erstarkten Selbstbewusstseins vor sich her zu tragen, so wie es Afroamerikaner mit dem Wort „nigg*“ getan haben.

Keiner spricht über die Musik

Doch am schmerzhaftesten dürfte für den 26-Jährigen sein – dessen größter Wunsch es ist, eine musikalische Ikone zu werden –, dass nun niemand wirklich über die Musik von „Flower Boy“ spricht. Dabei ist sein neues Album der bisher konsequenteste Ausdruck seiner künstlerischen Vision.

Erst seit „Cherry Bomb“ von 2015 ist es überhaupt möglich, ein ganzes Tyler-Album am Stück zu hören. Das Geräuschchaos der Vorgänger, die willentliche Abschottung gegen seine Hörer – das alles war bisher Musik gewordenes Aufmerksamkeitsdefizit- und vor allem Hyperaktivitätssyndrom. „Flower Boy“ mit seinen beruhigenden Synthie-Melodien, die sich durch das ganze Album ziehen, verrät ein musikalisches Konzept, das sich auch völlig unabhängig von der Frage, mit wem Tyler nun eigentlich schläft, zu hören lohnt.

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Author: Golda Nolan II

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